Hendrik Otremba - Riskantes Manöver
Veröffentlicht am: 31. März 2023
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1. Opening Night
2. Im Pelzmantel, Cretin
3. Bargfeld
4. Der Gräber
5. New York II
6. Fremdes Gebäude
7. Übergang
8. Smog In Frankfurt
9. Unfall
10. Nektar Nektar
11. Schön dort, und still
Medien
Beschreibung
Für viele Musiker ist der Schritt aus dem Kollektiv ein riskantes Manöver: Wie nämlich nehmen Band
und Publikum die Entscheidung auf? Hendrik Otremba, Sänger der Gruppe Messer, stellt nun sein
Soloalbum vor. Er hat es Riskantes Manöver genannt – aber nicht aus dem genannten Grund. Längst hat
er sich als eigenständiger Künstler etabliert, hat als Maler, Autor und Performer stets auch zur Identität
von Messer beigetragen, die gerade obendrein an einem neuen Album arbeiten – dieses Soloalbum kündet
also nicht von Zwist. Wenn etwas verblüfft, dann vielleicht eher, dass Otremba nicht erneut in ein neues
Medium aufbricht, sondern dorthin zurückgeht, wo alles anfing: zu den eigenen Songs, die bisher im
Verborgenen lagen.
Riskantes Manöver ist dabei kein Aufguss des Bekannten, aus Ennui oder Eitelkeit. Viel eher tritt der
Songwriter Hendrik Otremba an die Öffentlichkeit, der sich parallel zu Messer entwickelt hat. In den
vergangenen zwölf Jahren nimmt er Demos auf, experimentiert, geht intuitiv vor und findet zu einer
eigenen Sprache, aus der er nun mit zwei engen Freunden ein Album ausgearbeitet hat: MultiInstrumentalist Alan Kassab, ein Schulfreund Otrembas, und Kadavar-Schlagzeuger Christoph ‚Tiger‘
Bartelt, schon Produzent des Messer-Debuts. Gemeinsam nähern sie sich den Demos wie einem Skript
und schaffen so eine Art auditiven Autorenfilm. Im Zentrum steht eine kreative Vision, die von virtuosen
Technikern und begnadeten Darstellern umgesetzt wird – neben der Kern-Crew gehören dazu Stella
Sommer, Alex Zhang Hungtai (Ex-Dirty Beaches, der Otremba überhaupt erst dazu inspirierte, ein
eigenes Album zu schreiben), Gregor Schwellenbach, Friedrich Paravicini, Dominik Otremba (aka
Performance) – aber auch Tochter Hedi und mehr als ein Dutzend weitere Kreative zwischen Indie-Adel,
Hochkultur-Bagage und Jugendfreunden.
Doch nicht nur durch sein Casting-Gespür und weitere direktive Entscheidungen überzeugt Otremba,
sondern vor allem mit Musik, die durch ihre Weite und einen eigensinnigen erzählerischen Ansatz gar
filmisch wirkt: Als zarter Chansonier schleicht Otremba durch die Streicherschluchten von New York II,
geifert als Apokalyptiker in Nektar Nektar vor Blastbeat und heulendem Saxofon, findet in der sinophilen
Klavierballade Bargfeld aber auch zu Ruhe und Intimität. Brachialen Proto-Industrial und dröhnenden
Goth meistert Otremba ebenso wie epischen Pop oder Großstadt-Country; hier öffnet ein MusikEnthusiast sein vielseitiges Portfolio, in dem er als Sänger und Performer zugleich eine neue Bandbreite
entwickelt.
In sein Rollen-Inventar führt Otremba zudem die Figur '66 ein, ein „Zeuge des zivilisatorischen
Niedergangs“ und eine Art Erzählstimme, durch deren Perspektive wir auf das von Katastrophen und
Verlassenheit geprägte Geschehen des Albums blicken. Otremba tritt als '66 maskiert auf, zu sehen etwa
auf dem Cover der Riskantes Manöver Doppel-10-Inch. Was die Bandagen bedeuten, bleibt unklar – ein
weiterer, rätselhafter Eintrag in Otrembas Privatmythologie, bestehend aus Namen, Zeichen, Bildern, die
sich durch sein gesamtes Werk erstrecken.
Riskantes Manöver öffnet darin nicht nur eine neue Facette, der Titel fasst zugleich das Ethos eines
Arbeitens zusammen, „das nicht auf Relevanz oder Erfolg gepolt ist“. Gerade, wenn dabei immer wieder
Gegensätze vereint werden müssen, die an dem Menschen dahinter zerren: „Das riskante Manöver ist mit
den Widersprüchen zu leben und sie im eigenen Schaffen stattfinden zu lassen. Lust und kreative
Ambition als was Positives zu begreifen in einer Situation, wo das, was ich sehe, eigentlich für das
Gegenteil spricht, abgründig, negativ, dämonisch ist.“ In diesem Sinne ist hier ein Monolith von einem
Album geschaffen, der sich zugleich machtvoll und zart aufstemmt, wie es im Untertitel der Platte heißt:
„gegen die Verachtung der Gegenwarth“!
Sebastian Berlich